Der Thüringer Kloß soll Weltkulturerbe werden

Eine Initiave der EUROPÄISCHEN KARTOFFEL AKADEMIE
Pressespiegel
14.Juni 2008 - Freies Wort - von Ully Günther
Kulinarisches
Der Thüringer Kloß auf der globalen Umlaufbahn
Ein Museumschef kämpft für die Aufnahme des Thüringer Nationalgerichts in das Unesco-Kulturerbe und hofft auf politische Unterstützung
Eindeutig legt unsere Zeit zu viel Wert auf das Äußere. Von daher haben unsere beiden heutigen Kandidaten es schwer, die Anerkennung zu finden, die ihnen gebührt. Der eine bleibt ewig blass und kugelrund. Die andere ist dreckbraun von Natur. Beide dienen allein dem Gefressenwerden und sind deshalb mehr Gegenstand der Verdauung als der Verehrung, was keineswegs fair ist. Allerhöchste Zeit wird es, sich einmal zu verbeugen vor dem Thüringer Kloß und seinem Basisprodukt, der Kartoffel. Ohne die beiden wäre alles nichts, in Fadheit läge das Leben danieder. Europameisterschaftsgucker blieben ohne die in kritischen Strafraumsituationen hilfreiche Kartoffelchipunterstützung. Sonn- und Feiertage würden bratenlos dahinsiechen. Selbst die arme Mayonnaise müsste ohne Pommes Frites ihr Leben vergammeln. Außerdem natürlich erführe die Hälfte der Thüringer Bevölkerung nie, wer die Europameisterschaft 2008 gewinnt, weil sie schlicht und einfach niemals geboren worden wäre. Ihre Vorfahren wären verhungert - ohne diese großzügige Kartoffel und ihren ruhmreichsten Abkömmling, den Thüringer Kloß.

Schon die jüngsten Thüringer interessieren sich im Kloßmuseum Heichelheim bei Weimar für die freistaatliche Nationalspeise. Fotos (3): ari

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Will den Thüringer Kloß als Kulturgut schützen lassen: Museumschef Sylk Schneider.Bild:

Der Thüringer Kloß im Jahr der Kartoffel

Wir gedenken also in Ehrfurcht dem Faktum, dass der Thüringer Kloß in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag begeht. Wir erinnern uns ferner, dass die Vereinten Nationen das Jahr 2008 ins "Jahr der Kartoffel" erhoben haben.

Und wir treffen in Sylk Scheider einen Fachkundler ohnegleichen, der nimmermüde an der künftigen Weltkarriere des Thüringer Kloßes bastelt. Schneider leitet das Thüringer Kloßmuseum in Heichelheim bei Weimar. Vorträge über den Kloß führen ihn schon mal bis Rio de Janeiro. Das liegt in Brasilien. Schneider war es, der entdeckt hat, dass der Thüringen-Kloß derzeit 200 Jahre nachgewiesener Existenz feiert. Im Jahr 1808 wurde das Kloßrezept nämlich erstmals schriftlich niedergelegt. Friedrich Timotheus Heim, seinerzeit Pfarrer bei Sonneberg, hat es noch mit dem Gänsekiel fixiert. Seine Schrift mit dem Titel "Topographie des Pfarrspiels Effelder" würdigt ferner die Rolle der Kartoffel im Thüringer Land. "Existenz und Leben der Hälfte der Bevölkerung", heißt es dort, "sind nur durch den fortwährenden Erdäpfelanbau möglich." Ohne Kartoffeln wäre Thüringen ebenso kloßlos wie bevölkerungsarm geblieben.

Um 1600 hat es eine Eiszeit gegeben. Getreide wuchs danach kaum noch hierzulande, es konnte die Bevölkerung nicht mehr ernähren. Gott sei Dank war die "Tartuffel" im Anzug. Francisco Pizarro, seines Zeichens spanischer Seefahrer, fand sie im Jahr 1532 bei der Eroberung des Inkareiches in Peru. Aufgrund ihrer tollen Blüten trat die Kartoffel in der Folge ihren Siegeszug durch die botanischen Gärten der Fürstenhäuser Europas an. Sie galt als sündteures Geschenk in allerfeinsten Kreisen. Umgerechnet 10 000 Euro wurden damals gelöhnt für diese selten schöne Blume. Statt Rosen oder Orchideen trug Frankreichs Kaiserin Marie-Antoinette bei ihrer Hochzeit die Kartoffelblüte im Haar. Ein schmerzlich langer Weg ist es gewesen, bis die Kartoffel als das identifiziert wurde, was sie ihrem Wesen nach ist: die Retterin der Hungernden. Zuhauf wetterten stattdessen die Kanzelprediger gegen die sündige Knolle aus dem fernen Reich der Ungläubigen: Sexuell höllisch erregend sei das Erdäpfelchen, eine Teufelsfrucht.

So ging's der armen Kartoffel, reich an Vitamin B und C, sie wurde verkannt wie sonst nur noch Jesus Christus selber und verrichtete dennoch ab 1650 still und im Dunkel der Erde ihr Liebeswerk am hungerleidenden Thüringer Wald - 100 Jahre früher als anderswo in Deutschland.

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Kartoffeln liefern höchsten Ertrag

Als Einzige vermag die Kartoffel Hungersnöte in kürzester Zeit zu beseitigen. Das gelang ihr seinerzeit in Thüringen, später in den 1950er Jahren in China und jetzt gerade eben wieder im Hochland zu Kenia. Früher, informiert Sylk Schneider, brauchte man zehn Weizenbauern,

Soll dem Thüringer Kloß politisches Gewicht verleihen: Katrin Göring-Eckardt. Bild:

um einen Städter zu ernähren, aber nur einen Kartoffelbauern, um einen Städter oder Arbeiter zu füttern. Die Kartoffel war die Ernährungsvoraussetzung für die industrielle Revolution. Kartoffeln liefern pro Quadratmeter Boden den höchsten Ertrag. Das ist bis heute so geblieben. Burundi, Malawi, Ruanda - die Drei gehören zu den ärmsten Ländern der Welt - aber sie hungern nicht, weil sie die Kartoffel bauen, die auf kleinsten Flächen ganze Familien ernährt. Deshalb - aber nicht allein deshalb - hat ihr die UNO das Jahr 2008 gewidmet. Die Kartoffel besitzt noch einen weiteren Vorzug: Sie ist weitgehend resistent gegen solche Parasiten wie Hedge- und Pensionsfondsmanager, die derzeit rund um den Globus mit Nahrungsmitteln spekulieren, deren Preise ins Unerschwingliche hochjazzen und damit einen nicht geringen Teil der Menschheit in Hunger und Tod jagen.

Reis, Mais, Weizen, Soja, alles taugt prima zur Spekulation, nur die gute alte Kartoffel widersetzt sich dem schändlichen Treiben: Sie sei zu schwer, als dass es sich lohnen würde, sie rund um die Welt zu handeln, doziert Schneider mit feinem Gourmet-Lächeln um die Mundwinkel. "Die Transportkosten sind zu hoch." Man sieht Sylk Schneider an, wie mächtig stolz er ist auf seine Kartoffel. Seit 400 Jahren macht sie steil Karriere und trotzt jetzt noch dem Raubtierkapitalismus - nirgendwo ein Anzeichen für Knappheit.

10 000 Kartoffelsorten kennt die Welt. 10 000 ihrer Fans kommen jedes Jahr ins Sackdorf Heichelheim bei Weimar (312 Einwohner), um sich fit zu machen in Kartoffel- und Kloßkunde beim Museumsleiter Schneider. Die Amerikaner reisen her auf der Suche nach dem originalen Leben ihrer Vorfahren. Die Franzosen verweilen in der Regel drei Stunden. Nur der Einheimische bevorzugt den Fastfoodaufenthalt von 45 Minuten Dauer im Schnitt.

Diesmal ist das anders: Katrin Göring-Eckardt bleibt französische drei Stunden. Sie absolviert bei Schneider eine Art Führungsseminar in Kloßologie, schließlich geht es um viel. Um sehr viel. Die Bundestagsvizepräsidentin (Bündnis 90/Die Grünen) soll mit ihrem politischen Einfluss den Thüringer Kloß in die globale Umlaufbahn befördern. Sylk Schneider will die Weltkarriere für den Kloß. Er sucht dafür mächtige Verbündete. Schneider greift nach den Sternen, könnte man sagen.

Wer seinen Vornamen umdreht, der kommt auf "Klys". - "Klys!" - Das klingt wie Klöß im Dialekt, als sei das Schicksal des Mannes aus Weimar von Anfang vorbestimmt durch diesen Namen. "Klys" hat seinen Lebensauftrag gefunden. Er will den Thüringer Kloß ins Weltkulturerbe der Unesco aufnehmen lassen. Kein Witz! Über 3000 Unterschriften hat er schon für sein Anliegen gesammelt. Ministerpräsident Dieter Althaus hat auch unterzeichnet. Nur Berlin ist noch nicht so weit. Der Bundestag, er schnarcht noch. Knapp 100 Länder haben ihn längst hinter sich gelassen.

1972 trat die Unesco-Charta zum Schutz des Welterbes in Kraft. Die Idee war, das gemeinsame Erbe der Menschheit unter völkerrechtlich verbindlichen Schutz zu stellen. Auf dieser Liste schützenswerten Welterbes finden sich Landschaften ebenso wie Kulturmonumente oder Stadtkerne, zum Beispiel die Bamberger Altstadt oder das Elbtal bei Dresden, das jetzt von der Waldschlösschenbrücke bedroht wird. Was bislang nicht unter Schutz stand, war die immaterielle Vielfalt der Welt, die Folklore, die Handwerkskunst, die spezifische Esskultur, die Traditionen, all das, was den Unterschied zwischen den Völkern und damit den Farbenreichtum dieser Erde ausmacht. Diese Vielfalt wird massiv bedroht durch Fastfoodkonzerne, die den Globus mit dem immergleichen Essen überziehen, durch Modekonzerne, die der Welt die überall gleichen Klamotten aufschwatzen, durch Medienkonzerne, die mit ihren Soaps und Serien jungen Menschen rund um den Planeten ein immer ähnlicheres Seelenleben einhauchen. "So eine Art Artensterben" sei auch im kulturellen Bereich zu diagnostizieren, sagt Katrin Göring-Eckardt, und wo die spezielle Eigenart einer Region stürbe, blieben auch knallharte Wirtschaftsfaktoren auf der Strecke wie der Tourismus oder die Herstellung landesspezifischer Produkte.

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Gegenbewegung zur Vereinheitlichung

Wie sehr die Völker inzwischen Angst haben um ihre Identitäten, zeigt die neue Unesco-Konvention zum Schutz des immateriellen Welterbes. Von 30 Staaten unterzeichnet, trat sie am 20. April 2006 in Kraft, inzwischen haben rund 100 Länder unterschrieben. Nie zuvor hat ein internationales Abkommen eine rasendere Entwicklung genommen. Die neue Konvention sieht aus wie eine gigantische Gegenbewegung zur Vereinheitlichung der Welt.

Während andere Länder längst Institute gegründet oder beauftragt haben, um Listen ihres immateriellen Welterbes zu erstellen und Anträge zu formulieren, hat Deutschland die Konvention bislang nicht einmal unterzeichnet. Aktuell bestehen also (noch!!!) schlechte Chancen für die Weltkarriere des Thüringer Kloßes. Das könnte sich ändern, wenn Sylk Schneiders Kloßbewegung zur Volksbewegung anschwillt. Zu seinen Seminaren im Klößekochen reisen inzwischen sogar faszinierte Managergruppen an. Neuerdings hat er schwarz-gelbe Aufkleber drucken lassen. Am Ende ihres Besuches in Heichelheim pappt sich Katrin Göring-Eckardt einen unters Nummernschild. "Kloßland Thüringen" steht darauf. Schneider hat eine neue Mitstreiterin. Es gibt jetzt echte Hoffnung für Thüringens Leibspeise