Das Lied vom Hütes
von Rudolf Baumbach

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Historischer Hintergrund  zum Lied vom Hütes  

Notgeld

Fremdling, der du meinen Bahnen
Folgst als günstiger Begleiter.
Lass Dir rathen, lass dich mahnen:
Lies bis hierher und nicht weiter!
Hat im Schilf des Werrastrandes
Deine Wiege nicht gewackelt,
Hat des Henneberger Landes

Wappenthier Dir nicht gegackelt,
Unverständlich, unverdaulich
Bleibt Dir ewig dieses Lied,
Und dem Fremdling wird es graulich,
Wenn er einen Hütes sieht.
 
Vor langen Jahren schritt
einmal Frau Holle durch das Werrathal
Um Segen mit den Götterhänden
Der jungen Wintersaat zu spenden.
Das war in alter Zeit ihr Brauch,
Und heut noch, glaubt mir, thut sie 's auch,
Bevor sie deckt zur Winterruh,
Das Land mit weissen Federn zu.-
Es war ein guter Herbst gewesen,
Noch ging die Feldmaus Aehren lesen,
Der gelben Garben Segen aber,
Korn, Weizen, Gerste und der Haber
War eingeheimst nach alter Regel,
Und lustig klang der Drescher Flegel.
Auch Keltern knarrten hie und da,
Den in der Zeit, da dies geschah,
Im Werrathal an manchem Hang
Der Weinstock seine Reben schlang.
Es können, wie ich hörte sagen,
Auch Götter einen Trunk vertragen,
Und sündhaft wär'es doch Frau Hollen
Die Labe gönnen nicht zu wollen.
In grobes Tuch gehüllt den Leib,
Gestaltet wie ein Bauernweib,
Das Aepfel zu verkaufen hat,
So ging sie in die Harfenstadt,
Und schritt zur Herberg durstevoll,
Wo Rebenblut aus Fässern quoll.
Was jüngst der Herbst gezeitigt sich
Am Bielstein und am Dieterich,
Aus eichenen Gebinden rann's
Am Schwabenberg im Schank zur Gans,
Der lieblingsschenke unsrer Alten.
Dort thät Frau Holle Einkehr halten.
Dienstfertig vor die Göttin trug
Der Gastwirth einen grossen Krug,
Der barg in seines Bauches Weite
"Weingarten thäler" Schattenseite.
Frau Holle nahm den Krug, und - gluck -
That sie recht herzhaft einen Schluck.
Doch wie der Strom zu Thale lief,
Zog sich ihr Mund bedenklich schief.
Ihr war', als ob die Kehle kratze
Der Hassfurt allerwildste Katze.
Sie hob sich eilgst von der Bank,
Bezahlte stumm denn Schlehentrank,
Und von der Herberg schied im Grolle
Die schwer gekränkte Göttin Holle.
Ob sie daheim ihr grimmes Weh
Gelindert durch Kamillenthee
Ich weiss es nicht. Doch weiss ich eines:
Vorbei war's mit der Zucht des Weines,
Es hat der Frost in einer Nacht
Die Reben alle umgebracht.
Wenn wir betrachten recht bei Licht,
Was wir im Zorn oft angericht't,
So schlägt uns der Gewissenshammer.
-Man nennt's moral 'sehen Katzenjammer.
Und auch Frau Hollen so geschah,
Als sie im Lenz die Winzer sah
Mit Thränen und gerung'nen Händen
In den verheerten Weingeländen.
Sie sprach mit sorglichen Geberden:
"Den Leuten muss geholfen werden."
Und trat alsbald an sie heran
Und hob zu sprechen also an:
"Ihr Leute lasst das Klagen sein.
Und jammert nicht um euren Wein.
Der ist auf allezeit dahin,
Allein es ist nicht Schad' um ihn.
Was Besseres weiss ich zu geben.
Da nehmt und pflanzt das statt der Reben."
Und aus der Schürze zog Frau Holle
Die mehlige Kartoffelknolle.
Und segnete mit ihrer Hand
Die Ackerschollen und verschwand.
Wo sonst der Winzer heiss sich mühte,
Und Wein von zweifelhafter Güte,
Entstieg den braunen Furchen bald
Grün ein Kartoffelkräuterwald.
Mit starken Armen schwang im Acker
Die Waffe der Kartoffelhacker,
Sein Antlitz freudig war verklärt,
Wenn er die Säcke fruchtbeschwert
Am Abend durch die kühle Flur
Auf seinem Schubkaro heimwärts fuhr.
Und wenn nach Sonnenuntergang
Vom Stadtkirchthurm die Glocke klang,
Stieg aus den Schloten in die Luft
Ein zarter, bläulichgrauer Duft.
Woraus der Kenner schliessen mochte,

Dass man am Herd Kartoffeln kochte.
Mit hoher Freude sah Frau Holle
Den Segen der Kartoffelknolle,
Wenn sie mit leisem Geistertritt
Unsichtbar durch die Häuser schritt.
Sie sah, wie sich die Hausfrau mühte,
Die Erdfrucht röstete und brühte,
Wie sie mit Butter oder Schmalz,
mit Kümmel oder scharfem Salz,
Mitunter auch durch einen Harung
Gab Würze der Kartoffelnahrung.
Das alles sah Frau Holle an
Und hatte ihre Freude dran,
Und dennoch dachte sie bei sich:
"Ihr armen Leute dauert mich.
Noch habt ihr leider nicht entdeckt,
Was hinter der Kartoffel steckt,
Und was die kund'ge Hand für
Werke Kann schaffen kann aus Kartoffelstärke."
So sprach Frau Holle, und alsbald
Ging sie in Küchenmagdgestalt
Bescheiden durch das Schlundhausthor
Und stellte sich dem Schlundwirth vor,
Der schmunzelnd auf die Köchin blickte
Und flugs sie in die Küche schickte.
Da stand sie nun in weisser Schürze
und klapperte mit Topf und Stürze
Und liess den Wirth und seine Frauen
Ein seltsam Küchenkunststück schauen.
Der Bürgermeister jener Zeit,
Ein braver Mann und sehr gescheit,
Rechtgläubig, streng und sittenrein,
Wie stets die Bürgermeister sein
-Derselbige kam dazumal
Ermüdet aus dem Sitzungssaal,
Als eben aus dem Erdgeschoß
Ein süsses Duften sich ergoss.
Und schlau verfolgend die Gerüche,
Kam der gestrenge in die Küche,
am Herde fand er stehn Frau Holle.
Und der geschwärzten Casserolle,
entstieg soeben riesengross
Ein dampfender Kartoffelkloss.
Die Göttin aber, lichtumflossen,
Von rothem Schimmer übergossen
Nach Art der überird 'sehen Geister,
Stand blendend vor dem Bürgermeister.
Und sprach:" Nun hab' ich euch gelehrt,
Wie man die Frucht, die ich bescheert,
Den Apfel aus der Erde Schoosse,
gestaltet zum Kartoffelklosse.
Wie man das Mark zerquetscht geschickt
Und wie man 's rundet, wie man 's spickt
Mit Brocklein zart gebräunter Wecken.
Langt fröhlich zu und lasst's euch schmecken.
Du aber, Haupt des Magistrates,
Du leuchtend Licht des weisen Rathes,
Du Sohn uralten Stadtgeblühtes,
Hier hast du das Receptum. - Hüt'es!"
Frau Holle sprach's, da war sie fort,
Ihr Werk, der Kloss, blieb aber dort.
Viel Wasser Werra-abwärts wallte,
Seitdem Frau Holle Klösse ballte,
Die heul in Stadt und Land zumeist
Der Mund des Volkes "Hütes" heisst.
Wohl hat der Bürger längst vergessen,
Wem er verdankt das Götteressen.
Um' s Leben aber liess' er nicht
Von seinem Sonntagsleibgericht,
Das ihm die Magenwand umkleistert
Und ihn zu hoher Tat begeistert.
Wenn ihn der Wintersturm umtost,
Gibt ihm der Hütes Kraft und Trost,
Und kommt der Mai, und grünt und blüht es,
Dann speist er freudig seinen Hütes,
Und trinkt er von des Todes Kelche,
So fragt er:" Gibt's auch drüben welche?"
Der dies gebracht in Vers und Reim,
Ist auch zu Haus in Hütesheim.
Er sang, als er am Südmeer sass
Und schnöde Maccaroni ass.
Und wie er ass und wie sang,
Das bittre Heimweh ihn bezwang.
Ihm war's beim Maccaroniessen,
als knarrten fern Kartoffelpressen
Und ob sich zöge durch die Luft
Ein heimatlicher Hütesduft.
Er sendet dieses Lied als Gruss
Gen Meiningen am Werrafluss.
Empfangt es fröhlichen Gemüthes.
Fahrt wohl! - Das ist das Lied vom Hütes. ""
Text nach der Ausgabe "Krug und Tintenfass"
Verlag Liebeskind, Leipzig 1887


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Daß Frau Holle den Kloß erfand ,ist natürlich ein Sage, aber wie alle Sagen beruht sie auf einem wahren Hintergrund.
Die zur ersten Jahrtausendwende vorherrschende Warm-Temperatur in der nördlichen Hemisphäre ermöglichte Weinbau im Thüringer Wald und sogar in Schottland  und England.  Doch  der Wein schmeckte scheußlich. Peter von Blois, Schreiber am Hofe des englischen Heinrich II berichtet.:

«Ich habe gesehen, wie sogar dem hohen Adel derart trüber Wein vorgesetzt wurde, daß man die Augen schließen und die Zähne zusammenbeißen mußte, wenn man mit verzogenem Mund und tiefem Ekel dieses Dreckszeug, statt es zu trinken, in sich hineintröpfeln ließ.«


Im Gedicht heist es:


"Am Schwabenberg im Schank zur Gans, Der lieblingsschenke unsrer Alten. Dort thät Frau Holle Einkehr halten. Dienstfertig vor die Göttin trug Der Gastwirth einen grossen Krug, Der barg in seines Bauches Weite "Weingarten thäler" Schattenseite. Frau Holle nahm den Krug, und - gluck - That sie recht herzhaft einen Schluck. Doch wie der Strom zu Thale lief, Zog sich ihr Mund bedenklich schief. Ihr war', als ob die Kehle kratze Der Hassfurt allerwildste Katze.

Um 1300 setzt eine »Abkühlung« des Klimas (bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts) um etwa ein Grad Celsius (durchschnittlich) ein. Ab 1600 bis weit nach 1700 herrschte das kälteste Regime seit dem Ende der letzten großen Eiszeit vor zehntausend Jahren. Die Winter waren extrem kalt, die Sommer waren verregnet. Das Getreide reifte nicht mehr, und am Roggen bildeten sich Mutterkornpilze.

Jede Mißernte führt zu Hungersnöten; die durchschnittliche Lebenserwartung – die ohnehin mit etwa dreißig Jahren nicht hoch war, sank um etwa zehn Jahre. Karl V. von Frankreich galt bei seinem Ableben im Alter von zweiundvierzig Jahren als »weiser alter Mann«. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts war die Lebenserwartung nicht wesentlich gestiegen: In Rußland betrug sie 21,3 Jahre, Preußen 29,6, Frankreich 32,2, Schweiz 34,5, Belgien 36,5 und England 38,5 Jahre.

Der Tiefpunkt dieser »kleinen Eiszeit« lag in der Mitte des 17. Jahrhunderts, wobei die Jahre von 1580 bis 1730 überdurchschnittlich kalt waren. Die Unbilden der Witterung wirkten sich durch Mißernten und Hungersnöten vor allem dort aus, wo die Ertragslage durch minderwertige Böden ohnehin schon ungünstig war, wie im Thüringer Wald .

Die Kartoffel war die Antwort auf das am Halm faulendes Getreide; sie war an kältere Temperaturen und an ein feuchteres Klima besser angepaßt als Getreide, das sich fast zehntausend Jahre lang dem vorherigen milderen Klima der nördlichen Hemisphäre angepaßt hatte. Im 17. Jahrhundert verneunfachten sich die Kornpreise als Folge der wiederholten Mißernten wegen der Klimaverschlechterung. Die Mißernten führten dazu, daß die Menschen das unreife Korn aßen oder gar grünes Gras »wie das Vieh«. Aus Hessen wird 1635 berichtet:

«Man verschlingt die ungenießbaren Dinge wie Laub, Gras oder Leder, um den Hunger zu stillen. Eine Rattenmaus bezahlt man mit vier Gulden, soviel hatte 1618 noch eine fette Sau gekostet.«

Gefürchtet waren überall die »grünen Jahre«, Jahre, in denen das Getreide nicht ausreifte, weil der Sommer wieder einmal nicht auf die erforderliche Temperatur kam oder die Regenmenge zu viel oder zu wenig war.

Die Einnahmen des kleinen Landadels gehen zurück und veranlassen den Adel, von den Bauern höhere Abgaben zu fordern; solange die Landwirtschaft nur auf die Versorgung um den Kirchturm herum ausgerichtet war und nicht mehr angebaut wurde, als das was unmittelbar verbraucht wurde, hält sich zwischen Grundherren und »Hörigen« ein Gleichgewicht der Kräfte und ein »maßvoller« Frondienst.

Der 30jährige Krieg, vorgeblich ein Krieg um die richtige Interpretation des Papsttums, war Folge der Mißernten und Ursache und des damit einhergehenden Hungers in ganz Europa. Krieg war allgegenwärtig; überall in Europa darben und starben, stürzten die Menschen. Pest und Epidemien kehrten regelmäßig durch die Lande. Hunger war üblich. Nach dem 30jährigen Krieg sind in Deutschland allein in der Zeit bis 1807 nachweislich sechzehn Hungerperioden zu zählen, die Jahre 1739 bis 1741 (auf dem Barnim in Preußen lag bis in den Mai hinein Schnee und im Juni war noch kein Gras auf der Weide) und 1770 bis 1772 waren sogar Hungerkatastrophen.

Die Kartoffel setzte sich mit den Hungerjahren durch, in Thüringen um 1700 zuerst auf den schlechten Böden des Vogtlandes und des Thüringer Waldes, später auch auf den besseren Böden wie im Herzogthum Sachsen Weimar. Hier mit Unterstützung des Landesherren.

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